1980: Start für das Bremer Regionalfernsehen

Am 1. September 1980 um Punkt 18 Uhr startet das Bremer Regionalfernsehen. Das Versprechen der Redaktion lautet: informativ, klar, deutlich und auf den Punkt.

Bild: Radio Bremen

Nach zahllosen Probesendungen, intensiven Trainings und einer PR-Kampagne, der sich niemand in Bremen und umzu entziehen kann, startet an diesem Abend das Bremer Regionalfernsehen im Ersten Deutschen Fernsehprogramm.

Nichts geringeres als eine neue Fernsehepoche wird versprochen und nun sitzen sie in Bremen und umzu um 18 Uhr gespannt vor den Geräten. Die Auswahl fällt nicht schwer, es ist die Zeit von nur drei (!) Fernsehprogrammen, die Zeit von Karl-Heinz Köpke in der Tagesschau.

Wie Nachrichtensendungen auszusehen haben ist klar: seriöse Herren verkünden die Lage der Nation und der Welt. Was in der Nachbarschaft der Zuschauer passiert ist, kann die Hürde journalistischer Bedeutsamkeit im deutschen Fernsehen nicht schaffen. Provinzkram. Das soll in Bremen jetzt anders werden. Nachrichten aus Bremen und umzu. Jeden Abend. Live und in Farbe.

Kleine Panne zu Beginn

Was kann das wohl werden? Zwei schnauzbärtige Herren, die nach Auffassung fachkundiger Kritiker der Premierensendung ganz offenbar vergessen haben, sich nach getaner Gartenarbeit angemessen für den Auftritt in einer Nachrichtensendung umzukleiden, schauen in grobem Strick exakt um 18 Uhr gespannt in die Kamera. Zwischen den beiden ein offenbar dem Star-Wars-Fundus entliehenes Sendungs-Logo "Bremen aktuell", auf dem Tisch ein Papierchaos wie beim Belegesuchen für die Steuererklärung. Und dann das: ausgedehntes Schweigen. Erst nach langer Pause ein leicht verstörtes "äähh, ja, guten Abend liebe Zuschauer, eigentlich wollten wir diese Sendung mit Dieter Hildebrandt beginnen....".

Ach was, denkt die erwartungsfrohe Kundschaft. Hat jetzt auch der Star des politischen deutschen Kabaretts bei Radio Bremen angeheuert? Nein, Hildebrandt hat lediglich ein paar Tage zuvor in seiner "Scheibenwischer"-Sendung gesagt: "Nachrichten-Sendungen im deutschen Fernsehen haben heute nur noch den Informations-Wert von Fix und Foxi". Mit diesem Zitat als allererstem Satz im neuen Bremer Fernsehen will die Redaktion das Versprechen abgeben: "Buten&Binnen" (so die damalige Schreibweise) wird anders: informativ, klar, deutlich, auf den Punkt. Aber eine premieren-nervös falsch gedrückte Taste verhindert diesen sendungsbewussten Einstieg in das neue Fernsehzeitalter.

Moderatoren in Wollpullovern

Dem vermurksten Start folgen noch ausreichend viele Pannen in den ersten Wochen und Monaten, die allerdings bei den Zuschauern weniger Mitleid, als freundliches Interesse hervorrufen. Fernsehen, das nicht perfekt ist, das offenbar von Menschen und nicht von gedrillten Mikrofonständern gemacht wird, macht neugierig. Und weil das Versprechen, journalistisch auf den Punkt zu kommen, Tag für Tag immer mehr eingelöst wird, geht "Buten&Binnen" viral, wie man das heute nur von vielfach geteilten Katzenclips im Internet kennt...

Themen der Zuschauer im Fokus

Die stetig wachsende Abend-Kundschaft erkennt, dass hier keine amtlichen Verlautbarungen verkündet werden, sondern die Themen der Zuschauer selbst im Fokus stehen. "Bürgerfernsehen" wird das später mal heißen. Nicht die Vorstandsetagen der Unternehmen, Verbände, Organisationen im Land und umzu sind das Hauptziel der journalistischen Neugier der "Buten&Binnen"-Reporter*innen, sondern das, was die Menschen in den Stadtteilen, in der Region, zu Hause und im Job erleben und was sie beschäftigt. Wobei: "Buten&Binnen" heisst die Sendung in den ersten Monaten ja noch gar nicht: "Bremer Berichte" heißt sie, und das klingt so aufregend, als würde direkt aus dem Katasteramt gesendet. Die Zuschauer werden aufgefordert, einen Namen für ihre Sendung zu finden. "Buten&Binnen" kommt bei dem Wettbewerb heraus. Das passt. Für die Zuschauer. Und für die Redaktion. Auch und gerade wegen des 2.Teils des Mottos der Kaufleute am Schütting: wagen un winnen.

Die journalistische Handschrift der Redaktion ist häufig gewagt – zumindest für viele Würdenträger unterschiedlichster Art in Stadt und Umland. Als beim Neujahrsempfang der Handelskammer der "Buten&Binnen"-Reporter die an sich harmlos-neugierige Frage stellt: "Was sind eigentlich Pfeffersäcke?" – wird er samt Team aus dem Schütting geworfen. Und als der Bürgerschaftspräsident sich während eines Interviews nicht huldvoll genug befragt fühlt, lässt er sich in einer Lokalzeitung verärgert über die "Drunter&Drüber"-Reporter aus. Und einige Moderatoren erleben sogar wörtlich zu nehmende Shit-Storms, als sie an sie adressierte Briefumschläge mit übel riechendem Inhalt öffnen...

Redaktionsteam erste Sendung buten un binnen
Inka Eckermann (erste Chefin von buten un binnen), Ulrich Kienzle (damals Chefredakteur), Michael Geyer, Christian Berg und Gerd Ellinghaus. Bild: Radio Bremen

Mutig und unkonventionell

Doch die Mehrheit der Menschen vor dem Bilddschirm ist da schon zum Fan der Sendung und ihrer Macher geworden. Die Einschaltquoten liegen regelmäßig weit über 50 Prozent. Und nach und nach müssen auch Politiker und Funktionäre die unkonventionelle Sendung ernst nehmen. Wer wissen will, was in Bremen und umzu wichtig ist, muss am Abend "Buten&Binnen" gesehen haben, um am nächsten Morgen mitreden zu können. Und wer am Abend auf dem "heißen Stuhl" im Studio den bohrenden Fragen der Moderatoren standhalten kann wird von seinen Gefolgsleuten gefeiert, wer nicht, muss den Spott der Gegner beim Gang durch die Stadt ertragen. Ein von den Zuschauern geliebtes "Duell", live und unvorhersehbar. Ein Wissenschaftssenator treibt den Moderator durch nachhaltiges Nicht-Beantworten von dessen Fragen sogar zur (vorübergehenden) Flucht aus dem Studio.

Nichts scheint unmöglich bei "Buten&Binnen". Immer ganz dicht an die Grenzen gehen, um zu erkennen, wo sie sind, Tabus brechen, alles fragen und alles wissen wollen, immer an den Kern kommen wollen, dieses journalistische Prinzip verlangt Mut, von der Redaktion und mindestens so sehr von denen, die das im Sender verantworten müssen. Es ist sicher ein besonderer Glücksfall und ein wichtiger Grund für den Erfolg der Sendung, dass dieser Mut in den Gründungs-Jahren vorhanden ist. Die Redaktion ist so zusammengestellt, daß unterschiedliche Typen täglich um die besten Inhalte für die Sendung ringen müssen. Das verhindert Langeweile und macht die Zuschauer*innen täglich aufs neue neugierig, was werden sie uns wohl heute Abend (an-)bieten?

Typisch "Radio Bremen" wird zum Markenzeichen

Auch die deutsche Fernsehbranche wird schnell auf das freche Fernsehen aus der Provinz aufmerksam. "Buten&Binnen"-Sendungen und -Moderatoren werden mit zig Preisen ausgezeichnet, das Format gilt bundesweit als Vorbild. Typisch Radio Bremen heißt es anerkennend und zuweilen auch etwas neidisch. Viele Sender entdecken erst in den späten 80er Jahren die Bedeutung von regionalem Fernsehen. Da ist "buten un binnen" schon lange aus den Pannen- und Flegeljahren raus. Die Sendung ist inzwischen erwachsen geworden. Ein Dauerbrenner. Ein Bremer Leuchtturm. Immer wieder mit Preisen ausgezeichnet und immer wieder Top-Quoten beim Publikum. Auch im 40. Jahr lebt der besondere "Buten&Binnen"-Spirit weiter, was angesichts der heute viel größeren Konkurrenz ein ganz besonderes Qualitätsmerkmal ist.

Autor: Christian Berg