1974: Radio Bremen übernimmt Redaktion für Niederdeutsches Hörspiel

Seit Anfang 1946 sendet Radio Bremen auch einen niederdeutschen Programmanteil. Seit 1974 ist die Redaktion des niederdeutschen Hörspiels in Bremen verankert.

Hein und Fidi
Hein und Fidi aus der beliebten Sendung: "Übern Gartenzaun". Bild: Radio Bremen

Von Anbeginn – genauer von Anfang 1946 – sendete Radio Bremen auch einen niederdeutschen Programmanteil. Seit Dezember 1957 teilten sich der Norddeutsche Rundfunk (NDR) und Radio Bremen einen gemeinsamen Programmplatz am Montagabend, der dem damals noch neuen niederdeutschen Hörspiel gewidmet war. In einem Vertrag zwischen den beiden Rundfunkanstalten wurde festgelegt, dass wöchentlich abwechselnd jede der beiden Rundfunkanstalten mit einer eigenen Produktion zu dem gemeinsamen Programm beitrug und die jeweils andere die Sendung übernahm.

16 Jahre dauerte diese Kooperation. Prägende Programmgestalter des Gemeinschaftsprogramms waren in Bremen Walter Arthur Kreye und in Hamburg Hans Henning Holm. Ihnen in erster Linie ist es zu verdanken, dass das Montagabendhörspiel sich unter den Freunden des Niederdeutschen innerhalb weniger Jahre einen geradezu legendären Ruf erwerben konnte. Es galt unbestritten als das formal und thematisch avancierteste, das facettenreichste und zugleich als das populärste Genre der niederdeutschen Literatur.

Redaktionelle Verantwortung kommt nach Bremen

Das Haus des Instituts für Niederdeutsche Sprache in Bremen mit niederdeutscher Inschrift an der Fassade
Das Institut für Niederdeutsche Sprache mit Sitz in Bremen Bild: Radio Bremen | Sebastian Bredehöft

Als Walter A. Kreye Ende 1973 in den Ruhestand ging, trat Konrad Hansen seine Nachfolge an. Für Hans Henning Holm, der zum gleichen Termin aufhörte, gab es eine solche Lösung nicht. Der NDR entschied sich, die Stelle nicht nachzubesetzen. Die Folge war eine Veränderung des seit 1957 geltenden Kooperationsvertrages. Ab Januar 1974 lag die Redaktion der niederdeutschen Hörspiele allein bei Radio Bremen. Der Sendetermin am Montagabend wurde zwar beibehalten, und beide Rundfunkanstalten strahlten weiterhin die gleichen Hörspiele aus, aber inhaltlich trug der NDR nun nichts mehr bei. Er zahlte jährlich eine bestimmte Summe an Radio Bremen und stellte in gewissem Umfang seine Produktionsstudios und sein Produktionspersonal zur Verfügung. Ein Grund hierfür war, dass ein Teil der Hörspiele weiterhin mit Hamburger Sprecherinnen und Sprechern realisiert werden sollte, um die Hamburger Dialektfärbung nicht völlig aus dem Programm verschwinden zu lassen.

Auf den ersten Blick hatte sich für das Radio-Publikum damit wenig geändert. Dennoch bedeutete dieser neue Kooperationsvertrag einen tiefen Einschnitt. Bisher hatte es immer zwei Redaktionen gegeben, die Manuskripte bewerteten, die mit den Autoren und Autorinnen an den Texten feilten und die über Regie und Besetzung entschieden. Nun lag alles in einer Hand. Bremen hielt sozusagen das Monopol auf das niederdeutsche Hörspiel. Ein Autor, dessen Werk vom Bremer Dramaturgen abgelehnt wurde, fand keine zweite Adresse, bei der er es hätte anbieten können.

Raus aus der reinen Bauernschwank-Nische

In den folgenden Jahren erfreute sich das niederdeutsche Hörspiel dennoch auch bei den Autoren und Autorinnen eines ungebrochenen Interesses. Es kamen neue hinzu, der zeitgeschichtliche Aspekt wurde stärker betont als zuvor, und sozialkritische Stoffe spielten eine zunehmende Rolle. Das entsprach dem literarischen Klima in der Republik im Jahrzehnt nach 1968 und war keineswegs eine plattdeutsche Spezialität. Hilfreich war sicher auch die sogenannte Dialektwelle, die damals vor allem in der populären Musik eine große Rolle spielte. Offensichtlich hatte das niederdeutsche Hörspiel in jenen Jahren thematisch den Anschluss an die Gegenwart gefunden.

Auch formal glich es sich schon unter Konrad Hansen, erst recht dann unter dessen Nachfolger*innen Dr. Jochen Schütt, Hans-Helge Ott und Ilka Bartels den hochdeutschen Hörspielen an. Es wurde anspruchsvoller und technisch aufwendiger. Statt mit den früher üblichen Laiendarstellern wurde nun ausschließlich mit professionellen Schauspielern und Schauspielerinnen gearbeitet, ähnliches gilt für die Autorenschaft. Der Anteil unterhaltender Stoffe lag und liegt vielleicht etwas höher, als bei den hochdeutschen Hörspielen, aber ein Platz ausschließlich für lustige Bauernschwänke ist es schon lange nicht mehr gewesen. Ernste Themen haben längst einen festen Platz im niederdeutschen Programm.

Platz für ernste Themen

So fanden sich dort in jünster Zeit Stücke wie "Altes Land" und "Mittagsstunde" (Bearbeitungen nach den Romanen von Dörte Hansen), "Rogge" von Helga Bürster (ein Stück über einen Fememord der "Werwölfe" in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in der Umgebung Bremens), "Ick kenn di nich", ein Stück über eine Familie deren Vater in der Demenz versinkt oder auch "To´n Afscheed ´n Säuten", eine Komödie (!) in vorpommerschem Platt um einen krebskranken Mann.

Seit 1987 gibt es den Arbeitskreis Regionales Hörspiel, der jährliche Treffen aller deutschsprachigen Sender (also auch Österreichs und der Schweiz) mit ihren regional geprägten Hörspielen veranstaltet. Ab 1993 fanden diese Veranstaltungen ihren Platz beim "Internationalen Mundartarchiv Ludwig Soumagne" in der Feste Zons in Dormagen am Rhein.

Neuproduktionen und Archiv-Schätzchen

Dort wird jährlich der mit 2.500 Euro dotierte "Zonser Hörspielpreis" für das beste Regional-Hörspiel des deutschen Sprachraums vergeben. Radio Bremen mit dem NDR hat bislang fünfmal den ersten Platz bekommen (1996, 2003, 2005, 2015 und 2016) und war viele Male unter den ersten drei. Seit 2013 wird dort auch der "Zonser Darstellerpreis" verliehen. Uwe Friedrichsen erhielt ihn als einer der ersten Schauspieler für eine Radio-Bremen-Produktion.

Heute hat das Niederdeutsche Hörspiel 26 Sendeplätze pro Jahr, wird also alle 14 Tage ausgestrahlt, an unterschiedlichen Sendeplätzen bei vier Wellen des NDR und auf Bremen Zwei. Dabei gibt es in der Regel jährlich acht Neuproduktionen, der Rest sind Wiederholungen. Unter diesen ist rund die Hälfte der Stücke jüngeren Datums, und die andere Hälfte besteht aus "Archivschätzchen".

Dr. Jochen Schütt und Hans-Helge Ott