1974: 3nach9 gelingt der Durchbruch

Mit 3nach9 kommt 1974 ein Talkformat ins Fernsehen, das nach nur drei Monaten zur festen Größe im Dritten Programm wird und bis heute Bestand hat.

3nach9 im Jahr 1975
3nach9 im Jahr 1975: Radio-Bremen-Chefredakteur Karl-Heinz Wocker, Schauspielerin Marianne Koch und Journalist Wolfgang Menge. Bild: Radio Bremen | Do leibgirries

Der Titel der Sendung resultierte aus der Konstellation im Studio: Drei Moderatoren talken im Dritten Programm um kurz nach neun Uhr abends. Schauspielerin Marianne Koch, der Journalist Wolfgang Menge und Radio-Bremen-Chefredakteur Gert von Paczensky sind die ersten Moderatoren. Die Sendung startet mit Livemusik vom Pianisten Gottfried Böttger und seinem Ragtime-Klavier. Er wird genau 40 Jahre lang der Pianist von 3nach9 bleiben.

Die Idee zu diesem speziellen Talkshowformat hatte Programmdirektor Dieter Ertel schon zu seiner Zeit beim Süddeutschen Rundfunk gehabt. Und dort auch schon eine Probesendung u.a. mit Wolfgang Menge als Talkmaster produziert, was ein Weg direkt in die Katastrophe war, wie Ertel später schrieb. Bei Radio Bremen dann ein neuer Versuch.

Retro-Kulisse zu 40 Jahre 3 nach 9
Bild: Radio Bremen | Martin von Minden

Die Bildregie übernimmt Mike Leckebusch – bekannt geworden als Regisseur des Beat-Clubs und als Chef des "Musikladens" das Idol der musikbesessenen Jugend. Die Redaktion hat Alfred Mensak. Mit dieser Formation und dem Titel "III nach 9" geht das Team am 19. November 1974 auf Sendung. Mit Erfolg: Die Presse wird aufmerksam, das ist der Durchbruch. 

"Kein feines Posieren auf teuren Gestühlen"

Der Spiegel schreibt über die Bremer Talkpremiere so: "Am Dienstag letzter Woche kam aus dem Bremer Studio 3 die erste Talk-Show der Nordkette, 3nach9 genannt, mit drei Moderatoren und der Botschaft: Der Fernseher muss kein toter Briefkasten sein. Denn wenn Talk-Show, dann so oder ähnlich: kein feines Posieren auf teuren Gestühlen ... sondern Leben in der Bude." 3nach9 will bewusst ein Anti-Magazin sein,  live und unmittelbar, es soll von Überraschungen und der Geistesgegenwart der Beteiligten leben. Ende jeweils offen."

3nach9 wird zum Aushängeschild von Radio Bremen

Nach nur drei Monaten wird die Sendung eine feste und bekannte Größe im Dritten Programm, der Westdeutsche und der Hessische Rundfunk übernehmen sie live, 3nach9 wird schnell zum Aushängeschild von Radio Bremen. Auch als sich die Zahl der Moderator*innen und die Sendezeit ändern, bleibt der Titel, der sich mit der Zeit zum Markenzeichen entwickelt.

Porträts der aktuellen und ehemaligen 3nach9-Moderatorinnen und -Moderatoren
Bild: Radio Bremen | Jasmin Lindenblatt

Knapp 50 Moderatoren und Moderatorinnen werden 3nach9 in dem nächsten halben Jahrhundert moderieren. In den ersten Jahren bleibt es bei einem Moderations-Trio, später setzt sich ein Duo durch. Ein Moderator bleibt lange und wird das Gesicht der Sendung: Giovanni di Lorenzo moderiert erstmals am 12. Mai 1989, mehr als 30 Jahre später ist er immer noch dabei. Eine Moderatorin bleibt dagegen nur kurz: Die umstrittene Autorin des Buchs "Feuchtgebiete", Charlotte Roche. Sie kommt 2009 als Nachfolgerin der langjährigen Moderatorin Amelie Fried und soll eine jüngere Sichtweise in die Sendung bringen. Das geht schief, nach nur vier Monaten tritt Charlotte Roche wieder ab. Durch die nächsten sechs Sendungen führt Giovanni die Lorenzo mit wechselnden Co-Moderatorinnen, bevor die Tageschausprecherin Judith Rakers seine neue feste Partnerin wird.

Skandale und Randale

Mehr als 4.000 Gäste lädt die Redaktion in den nächsten Jahrzehnten ins 3nach9-Studio. Da bleibt der eine oder andere Skandal nicht aus.

1978 traut die noch immer in tiefer Prüderie verharrende Republik ihren Augen und Ohren nicht: 3nach9-Moderator Wolfgang Menge packt einen Präservativtrockner und einen Dildo aus, um sich deren Gebrauch von Beate Uhse erklären zu lassen.

1982 zieht Fritz Teufel im Studio eine Wasserpistole, weil er "immer schon mal einen Bundesminister nass machen wollte". Minister Hans Matthöfer revanchiert sich mit einem Glas Rotwein, das er Teufel über das Hemd kippt.

Wasser ist der Feministin und Autorin Gerlinde Schilcher in einer 3nach9-Sendung 1984 nicht genug, um ihren Abscheu gegenüber Karl-Heinz Germersdorf auszudrücken. Sie leert ihr Glas Weißwein im Nacken des Bordellchefs.

1990 ist Franz Schönhuber zu Gast, der kurz zuvor vom Parteivorsitz der rechtsextremen  Republikaner zurückgetreten war. Vor dem gläsernen Studio versuchen Demonstranten, den Auftritt Schönhubers zu verhindern, zeitweise fliegen Steine gegen Studioscheiben, eine Scheibe geht zu Bruch, die Sendung wird unterbrochen. Die Polizei schirmt das Studio ab. Dann wird in der Sendung diskutiert ob, und wie man sie fortsetzen kann, dabei kommen kurz auch einige der Demonstranten zu Wort.

Intensive Gespräche und Weltstars

3nach9 steht aber auch immer wieder für intensive Gespräche – so beim aufsehenerregenden Talk am 23. November 1990 mit Eberhard von Brauchitsch zur Flick-Affäre: Im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo bricht er sein öffentliches Schweigen im Fernsehen.

3nach9 ist aber nicht nur eine reine Talkshow. Fast immer ist auch Musik Teil der Sendung. Es kommen Weltstars wie Sarah Connor, Lang Lang, David Garrett, Gregory Porter oder Sting nach Bremen, andere beginnen im 3nach9-Studio ihre Weltkarriere. Beispielsweise 2004 die noch völlig unbekannte Amy Winehouse.